Einführung

© Darkness is scary - Photographee.eu - fotolia

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Jeder Mensch kann ungewollt in die Lage kommen, sich mit dem Thema Behinderung
auseinandersetzen zu müssen. Häufig ist es ein kurzer Moment, der uns unvermittelt wie
ein Blitzschlag trifft. Es kann aber auch ein schleichender, langwieriger Prozess sein, an
dessen Ende eine schwere Behinderung steht. Die Reaktion des Einzelnen hängt von vielen
Kriterien ab. Schmerzhaft stellen Betroffene fest, dass der Eintritt in die Gruppe der
Behinderten altersunabhängig ist. Auch wenn die heile TV-Welt uns glauben machen will,
Behinderung, Pflege und Krankheit wäre ein Problem des demografischen Wandels, eine
Folge einer überalterten Gesellschaft. So unterschiedlich die Gründe sind, die zu einer
Behinderung führen, so unterschiedlich sind auch die Persönlichkeiten der Menschen.


Übrigens an dieser Stelle möchte ich Sie, den älteren Mitbürger, kurz ansprechen. Wenn Sie
so alt sind, dass Sie nicht mehr rechtzeitig bei Grün über die Straße kommen, sind Sie noch
lange nicht behindert. Alter ist keine Behinderung. Auch wenn Sie einen Herzinfarkt hatten,
was wirklich schlimm ist, haben Sie - verdammt nochmal - dem Rollstuhlfahrer nicht den
Behindertenparkplatz wegzunehmen! Für das Alter gibt es doch keinen Nachteilsausgleich!


Man kann seine Persönlichkeit, seinen Charakter nicht einfach ablegen wie eine zu lange
getragene Unterhose, nur weil der Charakter einfach nicht mehr zum körperlichen Zustand
passt. Aber Sie können daran arbeiten. Das wird Sie stärken. Der Modebegriff für
Persönlichkeitsanpassung ist "Coping". Je besser Sie sich Ihren neuen Lebensumständen
anpassen, umso entspannter werden Sie mit Ihrer Situation umgehen können. Bei der
Beantragung eines Schwerbehindertenausweises kann es hingegen zu einer Zerreißprobe für
Ihre Nerven kommen.


Fortan werde ich vom "Behindertenanwärter" sprechen, wenn es um eine Person geht, die
meint, sie wäre behindert, die aber noch keinen Ausweis in Händen hält. Personen, die sich
eines "Behindertenanwärters" annehmen, weil dieser dazu selbst nicht in der Lage ist,
stehen stellvertretend für diesen.


Sie müssen ihren "Gegner" kennen. Sie müssen lernen, wie er denkt, wie er atmet. Nicht
das Sozialgesetzbuch ist die Hürde, die Sie überwinden müssen, sondern der Sachbearbeiter
der zuständigen Stelle steht Ihnen im Weg. Sie müssen seine Schwächen ausloten. Kurz
gesagt: Sie brauchen eine Profilerausbildung. Profiler sind diese Menschen in
amerikanischen Krimi-Serien, die an irgendeinem Tuch schnüffeln, das am Tatort liegt, und
die dann vom Geruch des Tuches auf den seelischen Zustand des Opfers oder des Täters
schließen.


Ich kann hier natürlich nur den Grundkurs vermitteln. Aber haben Sie erst einmal die
wesentliche Vorgehensweise des Sachbearbeiters verinnerlicht, werden Sie besser und
besser, bis der Sachbearbeiter, der für Ihr Anliegen zuständig ist, zu einem Glühwürmchen
wird, welches morgens mit den ersten Sonnenstrahlen erlischt. Sie wissen dann, dass Sie
ihm überlegen sind, und dass Sie triumphieren werden. Auch wenn Sie erst einmal eine
Ablehnung bekommen, werden Sie am Ende Ihr Ziel erreichen. Sie werden formlos, aber
fristgerecht Widerspruch einlegen, und die Begründung werden Sie nachreichen. Dabei wird
Ihnen die Lektüre dieses Ratgebers behilflich sein. Das ist mein Ziel. Wenn Sie meinen
Ausführungen aufmerksam folgen, ist ihr Erfolg vorprogrammiert.


Bei Ablehnung immer Widerspruch einlegen!
Formlos!
Fristgerecht!


Damit ist der "Gegner "auch schon ausgemacht. Der Sachbearbeiter der für Sie zuständigen
Stelle wird Ihr imaginärer "Gegner" sein. In den Gesetzestexten findet sich immer die
nichtssagende Wortkombination »Zuständige Stelle«, da die Bezeichnungen der Stellen in
einem immerwährenden Verwirrspiel ständig wechseln. Die Aufgaben und
Telefonnummern der Sachbearbeiter wechseln noch häufiger. Wer heute noch für die
Buchstaben A bis E zuständig war, ist morgen für ganz andere Dinge verantwortlich, für die
Buchstaben F bis I vielleicht.


Ein verbeamteter Sachbearbeiter einer Behörde kann überall arbeiten, egal ob im
Sozialamt, im Liegenschaftsamt oder im Bürgerbüro. Medizinisch-fachlich hat er also keine
große Ahnung, er ist lediglich mit den gesetzlichen Vorgaben vertraut, die es einzuhalten
gilt. Da steht nirgends etwas von Ihren Leiden, von Ihrem subjektiven Gefühl, aus dem
Leben zu fallen. Ihr Hilfeschrei landet wahrscheinlich bei einem Menschen, der die
Koordination der Halteverbotsschilder in verkehrsberuhigten Zonen mit der gleichen
Souveränität und Anteilnahme behandelt, wie Ihr aus dem Lot geratenes Leben. Sie selber
aber wollen Ihr Leben verbessern, indem Sie die Nachteilsausgleiche des Sozialsystems in
Anspruch nehmen.

© Stempel in Hand beschriftet mit Ablehnung - Wolfilser - fotolia

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Sie werden durch die Hinweise dieses Ratgebers so gut vorbereitet sein, dass der
Sachbearbeiter Geschlecht, Hautfarbe oder Alter wechseln kann, während Sie mit ihm
sprechen. Es wird für Sie keine Rolle spielen. Es sei denn, Sie finden seine Schwachstelle,
die Sie für Ihr Anliegen nutzen können. Vergessen Sie, dass sich ein Mensch hinter dem
Synonym "Sachbearbeiter" verbirgt. Für ihn sind Sie nur eine Nummer auf einem
Antragsbogen, einem Antragsbogen unter vielen anderen Antragsformularen, die wie jeden
verdammten Morgen darauf warten, aufgeklappt und bearbeitet zu werden, während das
Ticken der Uhr über dem Wasserspender den ewigen Takt der gepflegten Langeweile in dem
kleinen, ungemütlichen Raum verströmt. Sie werden ihm immer einen Schritt voraus sein.
Auch ohne Beine.


Und was zeichnet Sie nun aus? Nachteile zeichnen Sie aus! Sind Sie jemand mit nur noch 30
Prozent Lungenvolumen? Jemand mit mehreren Bypässen? Mir leuchtet sofort ein, dass Sie
ein Anrecht auf behinderungsbedingten Nachteilsausgleich haben. Sind Sie ein
Querschnittsgelähmter? Der ist auf jeden Fall schwerbehindert, oder? Wir werden sehen.
Erst, wenn es sich um eine Behinderung im Sinne des Ermessens des zuständigen
Sachbearbeiters nach den Richtlinien des Gesetzgebers handelt, werden Sie behindert sein.
Dann werden Sie den Feststellungsbericht und den Ausweis in Händen halten. Wenn das
Ziel erreicht ist, gibt es wenig Anlass, ausgelassen zu jubeln. Aber frustriert müssen Sie auch
nicht sein.