Physiotherapie/Krankengymnastik (KG)

1.  Was ist das eigentlich genau?

Eigentlich kennt die Physiotherapie nahezu jeder. Abgekürzt auch gern KG genannt. Egal, ob man sich den Fuß verknackst hat oder unter Rückenbeschwerden leidet, es gibt eine 6er Serie KG verordnet und dann ist alles gut.

Krankengymnastik hört sich an, als würde Turnvater Jahn persönlich ein bisschen Bewegung in die müden Knochen bringen.

So sehen es offenbar auch viele Ärzte! Denn häufig wird Physiotherapie erst dann verordnet, wenn schon bleibende Veränderungen der gesamten Körperbalance und Motorik eingetreten sind. Heute weiß man, dass es eminent wichtig ist, so früh wie möglich mit dieser Therapie bei den MS-Betroffenen zu beginnen. Physiotherapie ist eine der wichtigsten Therapien für uns, die ein Leben lang andauert. Zu Beginn der Erkrankung müssen wir schnell lernen, unseren Körper mit seinen ständigen Veränderungen in Gefühl, Motorik und Ansteuerung der Extremitäten genau kennenzulernen. Hierzu ist die Physiotherapie unverzichtbar und unumgänglich! Der Therapeut erarbeitet mit uns zusammen ein Konzept, wie betroffene Körperareale neu erspürt und funktionsfähig gemacht werden oder deren Funktion erhalten werden kann. Wir haben nach unserer Geburt Jahre gebraucht, um das Greifen, Gehen, Klettern usw. zu erlernen. Nun müssen wir einige Dinge und Funktionsweisen neu erlernen. Ein guter Physiotherapeut erkennt sofort Defizite in der Beweglichkeit, spürt Verhärtungen in der Muskulatur und zurückgegangene Muskelregionen. All das führt zu einem Ungleichgewicht im Körper, welches wir unbewusst durch Fehlhaltung ausgleichen.

Damit ergibt sich ein Teufelskreis. Denn diese Ausgleichsbewegungen führen wiederum zu Fehlbelastungen und weiteren Muskelverhärtungen und Fehlhaltungen. Da setzt die Physiotherapie an.

 

2.  Was machen die da mit mir?

Diese Frage stellen sich zu Beginn wohl alle Betroffenen, gefolgt von der zweiten Frage: »Was bringt mir das?«.

Wir werden nicht einfach nur behandelt, als ob wir vom Arzt eine Pille bekämen, die wir zum richtigen Zeitpunkt einwerfen müssen und alles wird gut, nein, wir müssen uns selbst einbringen, sonst bewirkt die Physiotherapie gar nichts!

Also fragt euch: »Was kann ich tun, damit es mir bessergeht?«

Physiotherapie ist eine aktive Therapieform bei der wir selbst handeln müssen. Wir müssen uns aktiv mit unserem Körper beschäftigen, und wir müssen verstehen, wie er funktioniert. Nur wenn uns dies gelingt. werden wir erfolgreich sein.

»Ich spüre ja meine Beine gar nicht, da kann man nix machen!« ist eine oft vorgetragene Behauptung der Betroffenen. Aber genau das stimmt nicht; sie dient uns lediglich eine Ausrede dafür, hocken zu bleiben. Selbst wenn wir die Beine nur sehen und jemand anderer, der Physiotherapeut, bewegt sie, bekommt unser Gehirn Signale von diesem Bein. Unser Gehirn hat Eingänge und Ausgänge. Also kann man die Bewegungen, die eigentlich von uns gemacht werden sollten, auch von außen durchführen und dann kommt garantiert irgendetwas Verwertbares wieder zurück. Dann sind wir gefragt, dieses zarte Pflänzchen zu gießen und zu pflegen, um daraus irgendwann eine große Bewegung werden zu lassen. So einfach und gleichzeitig so schwer ist das. Denn wir sind gefragt! Wir müssen mitarbeiten. Das ist Leistungssport im wahrsten Sinne des Wortes.

Als es noch »Kerner« im TV gab, war einmal ein Apnoe-Taucher zu Gast, der selbst verschuldet eine Hirnblutung beim Training erlitt. Er überlebte mit Glück hatte aber eigentlich sämtliche motorischen Fähigkeiten eingebüßt: das Gehen, die Fähigkeit, die Arme zu bewegen, das Sprechen ... .

Nach hartem Training lief er einen Marathon und saß dann bei Kerner! Genau, Marathon!

Das heißt nicht, dass wir das auch machen sollen, weil es total beknackt ist, und es ist nur für bescheuerte Sensations-Talk-Shows und Herrn Kerner gut.

Was es uns aber zeigt, ist die Möglichkeit, dass ein ehemaliger Leistungssportler die Fähigkeiten den Körper neu zu erspüren und neu zu konditionieren außergewöhnlich gut beherrscht. Dass er diese Fähigkeiten zu neuen Höchstleistungen mit einem lädierten Körper nutzt, ist höchst zweifelhaft und entspricht unserer Ansicht nach alles andere als einer Vorbildfunktion. Sie zeigen jedoch die Möglichkeiten auf, die in jedem von uns stecken.

Wir müssen diese Möglichkeiten nutzen, und dabei sind wir gefragt, wir müssen handeln. Eine Pille einzuwerfen, ist einfach!

»Herr Doktor können Sie mich gesundmachen?«

Nein, kann er nicht. Es gibt diese Pillen, Spritzen oder Salben nicht, die das können. Selbst nach der perfekten Operation eines mehrfach gebrochenen Beines durch einen Topchirurgen, beginnt die eigentliche Arbeit erst, wenn die Knochensäge fzur Seite gelegt ist.

Dann beginnt die Physiotherapie. Und es wird nie wieder so wie vorher sein.

 

3.  Bekomme ich das denn verordnet?

Wenn es etwas gibt, was die Krankheit Multiple Sklerose positiv auszeichnet, dann dass sie zu den Krankheiten gehört, mit der man durch die Ärzte außerhalb des Regelfalls behandelt wird. Wenn euch euer Arzt nur ungern Physiotherapie verordnet, und darauf verweist, dass sein Budget sei, nutzt meist nichts darauf hinzuweisen, dass MS-Betroffene nicht automatisch in irgendein Budget fallen. Mittlerweile ist es nicht einmal mehr mit Aufwand für den Arzt verbunden, weil es keiner Begründung mehr bedarf. Eine definitive Diagnose reicht aus.

Physiotherapie wird bei MS über Langzeitverordnungen aufgeschrieben. Selbst die GKV-Verantwortlichen, die Ärzteausschüsse und das Gesundheitsministerium sind sich einig darüber, dass bei MS eine Langzeittherapie sinnvoll und absolut notwendig ist, um zumindest den Erhalt der körperlichen Restgesundheit bzw. die Verbesserung des Allgemeinzustandes zu erzielen.

Wenn euer Arzt – leider kommt das häufig vor – meint, einmal alle zwei Wochen Krankengymnastik reiche aus, solltet ihr tunlichst den Arzt wechseln. KG funktioniert nur, wenn ihr mitarbeitet und die angemessene Häufigkeit der Behandlung gegeben ist. Wir erinnern uns an die Babys zurück. Die kleinen Menschen machen nichts anderes, als spielerisch zu üben.

Da leuchtet es jedem sofort ein, dass vier Behandlungen im Monat, meist sogar nur zwei im Monat zu wenig sind.

 

4.  Welche Therapieform ist die Beste?

Das wird häufiger in den sozialen Netzwerken gefragt. Und schon sind gleich jede Menge Antwortende am Start, die PNF (Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation) als die heilsbringende Methode anpreisen. Der Nächste sagt, Bobath-Therapie wäre es, nichts anderes, während eine andere auf den alten Vojta schwört.

Davon müsst ihr euch nichts merken. Ein guter Physiotherapeut findet heraus, welche Anwendung bei euch die besten Ergebnisse erzielt. Wie die Anwendung dann heißt, ist relativ uninteressant.  Das Bobath-Konzept hat den Vorteil, dass eine Einheit länger ist, als die viel zu kurzen 20 Minuten-Anwendungen. DieBobath-Therapie muss allerdings auf der Verordnung vermerkt werden, damit eine 45 Minuten-Behandlung möglich ist. Des Weiteren dürfen nur Bobath-Therapeuten diese Methode anwenden, was bedeutet, dass man eine Praxis aussuchen muss, in der mehrere Therapeuten die Bobath-Ausbildung haben. Die ist nämlich teuer und muss von den Therapeuten in Privatpraxen in der Regel selbst bezahlt werden.

 

5.  Tipps

Physiotherapie so früh wie möglich beginnen!

Einmal die Woche ist schon fast zu wenig!

Die Praxis sollte Erfahrung mit MS haben!

Erzählt der Arzt etwas von seinem Budget, ist er nicht kompetent!

Mitmachen ist Pflicht, sonst kann man es auch lassen!