Ergotherapie

  1. Was ist das denn für ein Unsinn?

Wer jetzt sofort denkt, Tassen in den Schrank einräumen und Handtücher aufrollen, das kann ich auch u Hause machen, der liegt ganz falsch! Ergotherapie ist ein ganz wichtiger, ja essenzieller Bestandteil der MS-Behandlung. Wir wollen hier keine Vergleiche ziehen, aber man kann schon einmal darauf hinweisen, dass unsere Symptome kaum sinnvoll mit Medikamenten behandelt werden können und wenn sie tatsächlich einmal etwas bewirken, dann läuft man Gefahr, sich jede Menge Nebenwirkungen einzuhandeln.

Eines gilt es hier festzuhalten und besonders zu betonen! Ergotherapie ist nebenwirkungsfrei!

Ergotherapie, Sporttherapie und Physiotherapie haben die Nebenwirkungen, die die meisten Betroffenen nicht mögen und auch nicht akzeptieren wollen! Diese Nebenwirkung ist die Pflicht des Betroffenen zu harter Arbeit, zum Mitmachen und zu permanentem Training. Wer das nicht tut, der sollte aus Rücksicht auf die Kosten für die Gesellschaft schnell dieser Therapie aufhören. Ergotherapie ist eine teure und sehr langwierige Therapieform, die uns den Weg ebnen soll, trotz unserer mitunter massiven  Symptome und Einschränkungen ein lebenswertes Leben in der Gesellschaft zu führen. Der Erfolg hängt immer und unmittelbar von unserer  Bereitschaft zur Eigeninitiative ab.

 

  1. Wie funktioniert Ergotherapie?

Wer schon einmal in einer Reha-Einrichtung gewesen ist, kennt die meist in Gruppen ausgeführten ergotherapeutischen Anwendungen. Da werden kleine Kugeln sortiert und man vergnügt sich mit dem kurzweiligen Spiel Solitär. Dann haben die ersten Teilnehmer schon die Nase voll. Dabei geht es in der Ergotherapie gerade um die Einbindung von motorischen Fähigkeiten in sinnvolle Alltagstätigkeiten. Anfangs ging es wohl nur um Arbeit und Arbeitsfähigkeit, diese Zeiten sind jedoch schon lange vorbei.

»Mir fällt einfach so die Tasse aus der Hand!«

Dieses Bild wird gern als Zeichen für eine MS-Erkrankung strapaziert, so auch in dem Film "Jetzt erst recht (Go now!)" mit Robert Carlyle. Dem an Multipler Sklerose Erkrankten, gespielt von Robert Carlyle, fällt in einer Szene auf einem Baugerüst ein Hammer aus der Hand.

Ein gesunder Mensch kann etwas in der Hand halten, ohne sich darauf zu konzentrieren. Schon im Kleinkindalter bläuen die Eltern den Zwergen ein: »Halt das richtig fest!« Einmal ins Gehirn gedrungen und abgespeichert, müssen wir keinen Gedanken mehr darauf verschwenden, eine Tasse, ohne hinzuschauen, in der Hand zu behalten.

Egal, was unser Arzt alles an Fachwörtern für unsere Symptome aus dem Hut zaubert, die Tasse fällt häufiger als normal aus der Hand. „Ist das Taubheit? Ataksie womöglich? Spastik ist das, bestimmt ist es Spastik!“, schießt es uns durch den Kopf.

Wenn unvermittelt etwas aus der Hand fällt, verliert man die Kontrolle über etwas, was man seit dem Kleinkindalter beherrscht hat. Das hat eine ganz tiefe Bedeutung für uns. Kontrollverlust erschüttert uns in unseren Grundfesten.

Genau da setzt die Ergotherapie an. Sie beschäftigt sich gerade nicht mit Spastik und Co., sondern mit unseren Fähigkeiten als kompletter Mensch. Dazu gehören Ängste vor Kontrollverlust und Auffälligkeiten in der Öffentlichkeit. Alles, was wir tun, ist mit unserem Geist, unseren kognitiven Fähigkeiten verbunden. Ist mir völlig »Schnuppe«, ob eine Tasse herunterfällt, und belastet mich ein solches Ereignis nicht emotional, werde ich das Problem der neuen Finger- und Handmotorik schneller überwinden können, als wenn ich schon vorher denke: »Hoffentlich fällt mir das Essbesteck in der Kantine nicht wieder aus der Hand!«

Dabei fällt es nur dir auf! Niemand interessiert sich dafür, dass eine Gabel runterfällt. Nur du fühlst dich beobachtet, ertappt und im schlimmsten Fall gehst du nicht mehr in die Kantine, um mit den Kollegen zu essen.

Mit einer Ergotherapeutin kannst du diese Probleme in den Griff bekommen. Denn Übungen werden alltagstauglich gemacht. Stumpf eine Bewegung zu trainieren führt dazu, dass man innerhalb kürzester Zeit lustlos wird.

Das nennt man im Leistungssport: »Trainingsanreize setzen!« Niemand kann auf Höchstleistungen hintrainieren, wenn das Training keinen Spaß macht.

Übrigens werden nur ganz, ganz wenige Leistungssportler Millionäre. Wenn man die „Glotze“ einschaltet,  sieht man Fußballer, die in einem Jahr das so viel verdienen, wie Normalsterbliche in 10 Arbeitsleben nicht.  Man ist also geneigt, das Können der Stars als das Ergebnis eines fleißig trainierenden Leistungssportlers mit großem individuellen Talent darzustellen. Leider trainieren diejenigen, die nie von ihrem Erfolg leben können werden, genauso hart wie die Stars, auch wenn uns die Medien vorgaukeln, dass es einen direkten Zusammenhang von außergewöhnlichem Training und Millionen auf dem Bankkonto gibt.

So, und das ist wichtig, uns vor Augen zu führen, verhält es sich auch mit der Therapie, die wir machen. Die Erfolge stellen sich nicht automatisch ein, nur weil man fleißig trainiert.

Diejenigen, die jedoch aufhören, werden definitiv nichts erreichen können. Diejenigen, die nicht hart trainieren, haben nicht einmal die Aussicht auf Erfolg.

So einfach ist das mit der Ergotherapie!

Das Gleiche gilt für Sporttherapie und Physiotherapie.

 

  1. Solitär oder »Nine-HPole-Peg-Test«?

1985 kam ein Mensch namens Virgil Mathiowetz auf die Idee, aus Solitär einen Ergotherapie-Test zu machen, um die Feinmotorik der Hände zu prüfen; ursprünglich. Während wir Solitär spielen, weil jeder natürlich einmal nur noch einen Spielstein in der Mitte haben möchte und so die Feinmotorik trainieren, zerstört der [1]»Nine-Hole-Peg-Test« die ergotherapeutische Idee! Schaut ruhig mal auf den Link. Dann seht ihr, womit man einen Doktortitel bekommt. Ein Bild des »9HPT« ist auch dabei.

 

Zur Kategorisierung bzw. Erfassung MS-Betroffener machte man daraus einen Teil des »MSFC«-Tests. Wer ihn schon einmal gemacht hat, wird jetzt sagen: »Ihr habt doch gerade geschrieben, dass die Idee der Ergotherapie ganzheitlich sein soll, also von der Befindlichkeit abhängig ist und dann soll ich unter Stress diesen Test auf Zeit machen?«

Das ist halt der Unterschied zwischen Therapie und Diagnostik. Therapie dient uns, Diagnostik dient den Ärzten und Datenbanken, sind also etwas für Statistiker. Die Frage, wie nah so ein Test an unserer Lebensrealität ist und Auskunft gibt, könnt ihr euch jetzt selbst beantworten. Ob Herr Mathiowetz sich das so gedacht hat, wissen wir nicht; man müsste ihn fragen.

 

  1. Tipps

Wenn ihr spürt, dass sich auch nur die geringsten feinmotorischen oder überhaupt motorischen Probleme einstellen, bittet euren Arzt um die Verordnung von Ergotherapie!

Je früher man beginnt, umso größer sind die Möglichkeiten, Erfolge zu erzielen!

Lasst euch von eurem Arzt nicht einreden, dass Ergotherapie nicht notwendig ist.

Ergotherapie gehört zu den wichtigsten MS-Therapien!

Bedenkt, dass es auch um den Erhalt von Fähigkeiten geht und nicht deren Verbesserung. Es geht nicht mehr um schneller, höher, weiter!

 

[1]          http://www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/SchwengelbeckMareike/diss.pdf